Vorträge zu Wagner
„Fünf Stunden außer der Welt, in völliger Seligkeit“
Giacomo Puccinis Liebe zu Richard Wagner
Aus Anlass des 100. Todestages des italienischen Komponisten
Puccini Verdis Nachfolger? Ganz und gar nicht - Puccini steht Wagner viel näher! Seinen ersten „Parsifal“-Klavierauszug hat er sich als Student vom Munde abgespart. Den Auftrag, die „Meistersinger“ auf eine für Italien erträgliche Länge zu kürzen, hat er mit Können und Ehrfurcht vor dem Werk erledigt. Mit den beiden Frühwerken arbeitet sich Puccini dann musikalisch und inhaltlich an Wagner ab: Puccinis allererste Oper „Le Villi“ bringt Totengöttinnen auf die Bühne, die ungetreue Männer in ihr Reich holen – nicht unbedingt das angestammte Personal einer italienischen Oper. Seine zweite Oper „Edgar“ ist eine Mischung aus „Carmen“ und „Tannhäuser“, und wenn das Mädchen aus dem Goldenen Westen hoch zu Pferd einreitet, um den geliebten Mann gerade noch rechtzeitig vor dem Galgen zu retten, dann erinnert der Auf(t)ritt beileibe nicht nur szenisch an die „Walküre“. Es gibt keine Puccini-Oper, in der nicht „Tristan“-Chromatik und „Tristan“-Akkord vielfach zu finden wären. Der erlösende Kuss in „Turandot“ ist natürlich von jenem aus dem „Parsifal“ inspiriert. Beim Ringen um das Ende von „Turandot“ liest man in Puccinis Skizzen sozusagen als ultimative Lösung „E poi „Tristano“ – und danach „Tristan“. Es ist die vermutlich vorletzte, auf Grund des Kehlkopfkrebses nur noch schriftlich hinterlassene Äußerung des Komponisten. Die letzte ist: „Elvira, povera donna“. Der „armen Frau“ galt der letzte Gedanke wie auch Puccinis tenorale Helden in der Nachfolge von Wagners Siegmund ihren leidenden Gefährtinnen Kraft ihrer Stimme ein hohes Maß an Empathie entgegenbringen: Cavaradossi, Dick Johnson und Chevalier Des Grieux geht es nicht um Krieg und Ehre, sondern um die Partnerinnen Tosca, Minnie und Manon, allesamt psychisch beschädigte Frauen, die gleich Sieglinde allein durch die Stimme des liebenden Mannes Trost und Heilung erfahren.
Siegfried sieht so miesepetrig aus. Richard Wagner in der Parodie
Wagner ist nicht lustig! Wird er denn lustig, wenn der Schwanenritter statt Lohengrin „Lohengelb“ heißt oder der Fliegende Holländer bairisch redet? Ist es wirklich komisch, wenn Lohengrin und Elsa ein altes Ehepaar sind und über den Hausputz streiten? Was braucht es zu einer wirklich guten Wagner-Parodie? Es gibt eine unüberschaubare Menge von Parodien zu Wagners Opern, zu seiner Person und zu den typischen Ingredienzien seiner Werke. Umfangreiche Sopranistinnen und Tenöre in Zeichentrickfilmen sind dabei ebenso beliebt wie die neueste Verballhornung der ohnehin schon künstlichen Sprache – weiawagaduwelle ist halt ein billiger Lacher.
"Ihr wähltet Euch gleich ein Weib zur Eh'"
(Ehe)paare, der "geschädigte Dritte" und die freie Liebe bei Wagner
Richard Wagner wurde nicht müde, die Ehe als – wie er sie sah – Institution des Besitzes und der Unterdrückung zu brandmarken und ihr die freie Liebe ohne amtliche Bindung als das Ideal entgegen zu stellen. Noch wenige Stunden vor seinem Tod gedachte er der Ehe in seinem letzten Aufsatz, der sich bekanntlich mit der „Emanzipation des Weibes“ beschäftigte. Warum aber hat er dann zwei Mal geheiratet? Die Antwort ist wie immer vielschichtig, sie hat mit Wagners enger Mutterbindung, seinen gesellschaftlichen Stellung, seinem Familientraum und nicht zuletzt seiner sexuellen Gesundheit zu tun. Seine Biographie offenbart das, was sein musste, sein Werk aber jenes, was sein sollte. Die Schnittstelle ist immer Richard Wagner selbst, der wie seine Figuren um begehrte Frauen stets als der „geschädigte Dritte“ geworben hat, ein Begriff, den Sigmund Freud für jene Männer entwickelt hat, die an Frauen nur dann Interesse finden, wenn diese nicht frei sind, sondern einem anderen gehören. Diese komplexen Vorgänge, die Tristan und Richard miteinander verschmelzen lassen, beleuchtet Sabine Sonntag in ihrem Vortrag. Ein wesentlicher Aspekt und sozusagen Schlüssel ist dabei Wagners erstes, aber nie vollendetes Musikdrama Die Hochzeit. Ausgehend von der Hochzeit wird Sabine Sonntag den „Eid, der Unliebende eint“ in Tristan und Isolde, der Walküre und in seiner bei Ortrud und Telramund immerhin politisch recht erfolgreichen Variante beleuchten.
Tannhäuser und seine Inszenierungsgeschichte
Von der Uraufführung über die Zeit des Expressionismus bis Wieland, Götz Friedrich, Peter Konwitschny, romeo Castellucci und Tobias Kratzer.
„Wie schaffst du die Verwandlung?“
Bühnenvisionen von Wagner und ihre (Un)erfüllbarkeit bis heute
Im Zentrum wird dabei Parsifal stehen, aber auch die drei Übergänge vom Rhein zu wolkigen Höhen, weiter zu Nibelheim und wieder hinauf in den Himmel sowie das Verschwinden und Auftauchen von Venusberg, Holländer-Schiff und Lohengrin werden untersucht.
„... und trinkst du Bier, so fühlest du Beschwerden“ - Richard Wagner und das Bier
„Was soll ich trinken?“ – Geradezu verzweifelt wollte Richard Wagner von seinen Ärzten wissen, welches Wasser er wählen, ob er seinen Kaffee mit oder ohne Milch nehmen solle und ob eine ganze Flasche Wein zum Mittagessen medizinisch unbedenklich sei. Wenn er keine Antwort bekam, wie meist, so hat er sich seine Diätvorschriften einfach selbst gemacht, die berühmten, von Cosima penibel notierten Diätfehler eingeschlossen. Wein trank er aus gesundheitlichen Gründen, Kaffee mit „knackerigem Butterbod“ schmeckte ihm „herrlich“, aber mit dem Bier war es etwas anderes. Bier war Wagners wesentliches und wichtigstes Lebenselixier. Das Bier machte ihm schlimme Nächte, aber auch, wenn er gut geschlafen hatte, lag es am Bier. Bier bekam bei Wagner eine politische Komponente, wenn‘s um die Franzosen ging und eine philosophische, die er gerne auch einmal in Bier-Reime fasste. Das Getränk am Stammtisch von Angermann in Bayreuth zu genießen, machte ihn gemein mit der Unterschicht, der er von Bier zu Bier gerne angehören wollte oder eben nicht. Erst durch das Bier wurde Wagner zum vollkommenen Menschen. Beim Bier, nicht beim Wein, wurden entscheidende Aspekte der Kompositionen beschlossen und daher manchmal auch Nietzsche oder König Ludwig II. in die Bier-Problematik mit einbezogen.
"Alle Weiber gehen nun an mir vorüber". Wagners Frauen
Der letzte Gedanke Wagners in seinem Leben galt den Frauen. Richard Wagner schrieb an einem Aufsatz über die Emanzipation des Weibes, bevor er – vermutlich nach einem Herzanfall – am Nachmittag des 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin am Canal Grande starb. Er war zweimal verheiratet, hatte zahlreiche Affären und noch mehr wurden ihm angedichtet: Der Mann, der die Frauen liebte und dem es vor allem gelang, immer wieder Frauen zu finden, die ihm ihr Leben aufopfernd zu Füßen legten. Die hingebungsvolle Frau, die ihr Leben für den Mann gibt und ihn damit erlöst – das ist auch das Frauenbild in Wagners Werk. Besonders bedingungslos folgt Senta im Fliegenden Holländer diesem Ideal. Aber aus Hingabe und der Sehnsucht zu erlösen kann auch eine große politische Kraft erwachsen, wie Wagner am Beispiel der Brünnhilde im Ring des Nibelungen vorführt und all jene Lügen straft, die immer noch glauben, Wagner wären die Frauen ohne eigenen Willen am liebsten.
"Wohl hab ich eine schöne Tochter"
Richard Wagners Töchter mit ihren Ehemännern und ein Seitenblick auf Senta, Eva und Brünnhilde
Untersucht wird der Werdegang von Isolde und Eva im Schatten ihres Bruders Siegfried, die Ehemänner Franz Beidler und Houston Stewart Chamberlain und das Leben von Bülows Töchtern Blandine und Daniela, die nach einem Wort Wagners „besser nie geboren“ worden wären, die von Richard aber doch wie selbstverständlich in seinen Haushalt von Tribschen und Bayreuth integriert wurden. Sabine Sonntag analysiert – gestützt auf neueste Forschungsergebnisse – den schlimmen Prozess, den Isolde gegen ihre Mutter Cosima führte, und sie beleuchtet die Rolle der „Tanten“ Daniela und Wagner, die sich mit aller Kraft gegen eine Erneuerung Bayreuths gestemmt haben. Da Richard Wagner nie genau getrennt hat zwischen realem Leben und Bühnenfiktion, wird auch ein Seitenblick auf die Tochterfiguren im Werk Wagners geworfen und die Frage gestellt: Wieviel Isolde ist in „Soldchen“ verborgen, und: gibt es Parallelen zwischen Wagners Eva und Pogners Evchen?
"Ich Unfreiester Aller": Siegfried Wagner. Sohn und Erbe, Komponist, Dirigent und Regisseur, Hitlers Duz-Freund und Winifreds Ehemann
Siegfried Wagner war Komponist, Textdichter, Dirigent, Festspielleiter, Regisseur, Lichtvisionär, Sohn, Ehemann und Gastgeber in Haus Wahnfried für Adolf Hitler. „Zu viel, zu viel“ könnte man mit Tannhäuser ob solcher Last sagen, und schon den Vornamen empfand Siegfried als Bürde. Er hoffte aber, „nicht ganz unwürdig dieses Namens zu sein“. Sabine Sonntag wird in ihrem Vortrag das Persönliche unter psychologischen Gesichtspunkten in den Vordergrund rücken und der These nachgehen, dass Siegfried bereits bei seiner Zeugung einer so mannigfachen Belastung durch die Eltern ausgesetzt war, dass die Entwicklung zu einem frei handelnden Menschen gar nicht möglich war. 150 Jahre nach seinem Geburtstag bleibt Siegfried eine Schattenfigur hinter seinem Vater, hinter seiner Bisexualität und hinter seiner künstlerischen Selbstbestimmung. Ihn in all seinen Widersprüchlichkeiten dennoch zu würdigen, ist Ziel des Vortrages.
"Wie ich's begänne, wüßt' ich kaum". 150 Jahre Meistersinger von Nürnberg
150 Jahre Meistersinger – das sind 150 Jahre Inszenierungsgeschichte eines Werkes, das höchste Ansprüche an den Regisseur stellt. 200 Menschen auf und hinter der Bühne sind zu organisieren über fast sechs Stunden Aufführungsdauer. Dafür braucht es eine viel längere Probenzeit als üblich, was wiederum starke Auswirkungen auf die Gestaltung eines Spielplans insgesamt hat. Aber vor allem müssen die wichtigen Fragen des Stückes beantwortet werden: Wo genau spielt das Stück, wie wichtig also ist „Nürnberg“, wer ist Beckmesser, wie umgehen mit dem Deutschnationalen und der Schlussansprache des Hans Sachs? Nahezu alle Regisseure der Vergangenheit und der heutigen Szene haben sich dem Stück gestellt und dabei ganz erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht. Das jüngste ist jene Inszenierung des Bayreuther Festspielsommers 2017 von Barrie Kosky. Über diese Aufführung spricht und diskutiert Sabine Sonntag bei ihrem nächsten Vortrag im Hamburger Richard Wagner-Verband. Aber auch vor Kosky gab es eine Reihe bedeutender Inszenierungen, über die Sabine Sonntag berichten wird: die Meistersinger, die in Anwesenheit Hitlers in Bayreuth stattfanden; Wieland Wagners radikale Neudeutung mit und ohne Flieder, Peter Konwitschnys Hamburger Inszenierung mit inszenierter Unterbrechung und Stefan Herheims Salzburger Arbeit, die sich sozusagen auf Hans Sachs’ Schreibtisch abspielte. Von all diesen Deutungen gibt es Filmmaterial, das beim Vortrag zum Einsatz kommt.
„Hör ich das Licht?“ Die Inszenierungsgeschichte des Tristan
Manche Theaterleute empfinden eine leise Ironie dabei, dass Wagner seinen Tristan eine „Handlung in drei Aufzügen“ nennt - ist doch dieser Tristan so arm an äußerer Handlung wie keine andere Oper vor und nach ihm. Aber es ist die herkömmliche Aktion, die fehlt - die Seele dagegen handelt unentwegt. Doch wie zeigt man das? Vieles ist seit der Uraufführung 1865 versucht worden: statuarische Darstellung, symbolistische Bühnenbilder, Realismus, Entmystifizierung, Visualisierung durch Videos, Schrifteinblendungen, gar Ballettakrobatik hinzu erfundener Figuren. Der Vortrag gibt einen Überblick und ordnet die szenischen Varianten ein.
"Seht ihr's, Freunde?" - Richard Wagners Tristan und Isolde im Film
Lars von Trier rückte 2011 mit seinem Film Melancholia erneut die Frage ins Zentrum, wie gut Wagners Tristan-Partitur zur Filmmusik taugt und vor allem, wie sehr diese Musik einen Film bestimmen kann. Schon an der Schwelle zum Tonfilm hatte Luis Buñuel 1930 Vorspiel und „Liebestod“ für seine surrealen Filme verwendet. Danach entdeckte das Hollywood-Kino der 1940er Jahre die hochemotionale Musik Wagners für Liebes- und Schicksalsdramen. Zwischen Lars von Trier und Buñuel liegt die ganze Bandbreite vom biographischen Wagner- und Ludwig II.-Film über Fantasy- Filme, Filmkomödien und sogar Erotikfilme bis zu jener Gattung, wo sich Wagners Musikdrama und der Film besonders nah sind: in den Filmen um Selbstmord, Verklärung und Vision. Interessant ist dabei auch immer, wie Wagners Musik verwendet wird. Hier reicht die Spannweite von der Tristan-Schallplatte als Soundtrack in Melancholia über die Bearbeitung des „Liebestod“ zum Violinkonzert in Humoresque bis hin zur vollständigen Mutation in Hitchcocks Vertigo. Sabine Sonntags Buch liegen Untersuchungen von etwa 100 Filmen zugrunde, und es behandelt u.a. Werke von Alfred Hitchcock, Billy Wilder, Luchino Visconti, Monty Python, Werner Herzog, Ken Russell, Helmut Dietl, Claude Chabrol, Louis Malle und Yukio Mishima.
Richard Wagner im Kino
Wie sah Wagner aus, wie hat er sich bewegt, wie gesprochen? Es gibt ein paar Fotos, alles andere ist nicht dokumentiert, weil der Film erst gut zehn Jahre nach Wagners Tod erfunden wurde. Und trotzdem wurde das Thema „Wagner und Film“ nicht zuletzt dank Adornos Meinung, Wagner habe die Filmmusik erfunden, zu einem zentralen Thema in der Wagner-Forschung. Sabine Sonntag, die mit einer Arbeit zu Wagners Auftreten im Spielfilm promoviert und zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu diesem Gegenstand vorgelegt hat, wird in Bamberg die Filmvarianten Wagners von Giuseppe Becce über Richard Burton bis Edgar Selge vorstellen. Sie wird erzählen, wie sich Burton in Bayreuth dem Komponisten angenähert und wie man in Villa Wahnfried auf die Aufnahmen zum Wagner-Stummfilm von 1913 reagiert hat. Sie wird über die unterschiedlichen Filmbilder Wagners sprechen, je nachdem, ob ein Wagner-Film vor 1968 oder danach entstanden ist. Aber auch das Thema Wagner-Musik im Film wird behandelt, exemplarisch am Fall von Tristan und Isolde, denn wer einmal Lars von Triers Melancholia gesehen hat, wird die Bilder nicht mehr los, wenn er das Tristan-Vorspiel hört. Es gibt viele Filmausschnitte zu sehen, darunter auch einige echte Raritäten.
„So ein wüthender Italiener bin ich geworden“: Richard Wagner und das Italienische
Wagner gilt als das Gegenmodell zur italienischen Oper. Wo dort die Nummerneinteilung in Rezitativ, Arie und Duett vorherrschte, strebte Wagner nach dem unterbrechungslosen Ganzen. Wo bei den Italienern, namentlich natürlich bei Verdi, Oper ein Gemeinschaftswerk von Komponist und Librettist war, wollte Wagner alles aus einer, aus seiner Hand gestalten. Und trotzdem begegnen einem bei Wagner auf Schritt und Tritt italienische Einflüsse. Ausnahmslos alle Werke sind von Italien geprägt, auch wenn man die Einflüsse erst in tieferen Schichten entdeckt. Wer würde schon beim ersten Hören auf die Idee kommen, dass die traurige „alte Weise“ aus dem Tristan, vom Englischhorn vorgetragen, auf das Lied eines Gondoliere in Venedig zurückgeht? Und Wagner selbst wünschte sich mehr Italienisches im Gesangsstil zum Beispiel für seinen Lohengrin. Gattin Cosima sah das anders und hat nach Wagners Tod den Tenören die Italianità gründlich ausgetrieben. Über solche in die Tiefe der Interpretation gehenden Aspekte wird Sabine Sonntag bei ihrem Vortrag berichten und ihre Thesen mit zahlreichen Musik- und Videobeispielen veranschaulichen.